Anekdoten aus dem Alltag
Lang, lang ist's her seit dem letzten Eintrag hier. Es wird also Zeit mal wieder was zu schreiben - schließlich darf Kumpel Ronald nicht recht behalten: Als er von unserem Blog hörte meinte er, dass das mit der Zeit untergeht, weil ja irgendwann der Alltag anfängt und es da dann nicht mehr allzu viel berichtenswertes gäbe.
Inzwischen sind wir nun 8 Monate hier, und wir haben "Alltag" soweit hat Ronald auf jeden Fall Recht gehabt. Dass es aber nichts mehr zu berichten gäbe kann ich nicht behaupten. Ob bei der Arbeit oder im Privaten, der Alltag ist gefüllt, Langeweile kommt nicht so schnell auf.
Das Frühjahr haben wir hier in den letzten 3-4 Wochen im Schnelldurchgang abgehakt, von trüb und grau Anfang Mai bis grün mit strahlend blauem Himmel ging es schnell - man konnte den Pflanzen regelrecht beim Wachsen zusehen, und wie Blätter und Blüten herausgedrückt haben. Dank der Hilfe von effektivem Dünger und Unkrautvernichter leuchten die Rasenflächen in der gesamten Nachbarschaft auch wieder in sattem Grün und der Sound von Rasenmähern wurde zum gewohnten Hintergrundgeräusch – irgendwer mäht immer.
Die Schnecke fühl sich merklich wohler und mit den wärmeren Temperaturen sind die sportbegeisterten Mit-Einwohner auch wieder zurück auf die Straßen und Trails gekommen. Woran wir uns allerdings erst noch gewöhnen müssen (oder es vielleicht auch bleiben lassen) sind die hiesigen Zeiten zu denen die große Masse Sport macht: Heute Morgen als ich um 5Uhr auf dem Weg zum Flughafen war kommen mir bei uns im Wohngebiet die ersten Jogger und Radfahrer entgegen. Volksläufe starten idR um 7Uhr, Triathlons und Radrennen zwischen 7Uhr und Sonnenaufgang (5Uhr). Die eigentlichen Jedermann Populärsportarten hier sind jedoch Golf und Angeln. Golf wird überwiegend Abends nach der Arbeit betrieben, unseren Mutmaßungen zufolge um sich vor dem nach-Hause-gehen zu drücken, zum Angeln geht es morgens um 4 !
Aufgrund dessen, dass ich im Job jeden Tag das bis ca. 10Uhr begrenzte Zeitfenster nach Deutschland nutzen muss, kommt mir dieser Hang zum Frühaufstehen aber sehr gelegen und sehe ich zu, dass ich morgens entsprechend früh im Büro bin. Auch mit dem Rad wird es selten später als 7Uhr - aber wenn ich dann dem Fluss entlangfahre, den Kaninchen auf m Radweg ausweiche und die Wisconsinites dabei beobachte wie sie ihre Boote wieder aus m Wasser ziehen dann kommt in mir schon Mitleid auf, was für schlechte Betten die Daheim haben müssen wenn sie es so absolut nicht darin aushalten.
Noch eine weitere kleine Anekdote zum Frühaufstehen: Meine Team-Assistentin erzählte mir im Winter das sie um 4Uhr nicht mehr schlafen konnte und dann bei -20C mit der Schneefräse vors Haus ist um die Einfahrt frei zu räumen. Ich hab ihr daraufhin nur gesagt, wenn sie meine Nachbarin wäre, sei sie an diesem Morgen erschlagen worden. ;-)
Aber von den eisigen Zeiten schnell wieder zurück in den Frühsommer.
Trotz einem sehr „alternativen“ Trainingswinter hab ich es geschafft eine in Bezug auf die restlichen Umstände ganz passable Form zu erreichen. Das erste 100km Gravel-Race (Cyclocross) ist gewonnen und beim letzten 8km Volkslauf hab ich am Schluss nur der schnellsten Frau noch den Vortritt gelassen – meiner Frau.
Ich bin an dem Punkt angekommen wo Sport Spass macht, ohne dass ich mich unter irgendeinen Leistungsdruck setzen muss. Ich hab ne vernünftige Radgruppe für MTB und Straße gefunden und bald geht auch die Freiwassersaison wieder los - und nicht zu vergessen: Dieses Jahr will ich auch Kajak und S.U.P. noch ausprobieren.
Michi befindet sich in der finalen Vorbereitung für den Half-IM in Kanada und wie es bei ihr danach weiter geht davon lassen wir uns alle überraschen.
Die ersten Freunde aus Deutschland respektive der Schweiz waren inzwischen auch da. Es war schön Gäste zu haben, und interessant zu beobachten wie die mit dem umgehen woran wir uns inzwischen gewöhnt oder es zu akzeptieren gelernt haben.
Bei der Arbeit läuft es. Das hier ist nach wie vor DER Job für mich. Natürlich ist arbeiten hier anders und man wird mit Sozialleistungen nicht so verhätschelt wie in Deutschland.
Aus hiesiger Sicht befindet ihr euch in Deutschland gerade im permanent Feier- oder Brückentag-Modus und danach geht ihr übergangslos für 4 Wochen in Urlaub. Wir hier hatten dieses Jahr insgesamt 1,5 Feiertage und somit 2x länger als 2 Tage frei aber das fühlte sich dafür jedes mal wie Urlaub an.
Auch was Krankentage angeht ist man hier nicht gerade verwöhnt. Wir hier in der Firma haben davon nämlich nur 4 St/Jahr zur Verfügung, was dann eben zu Situationen führt wie bei meinem Kollegen der sich vor 2 Wochen das Bein angebrochen hat und nur einen Tag im Büro fehlte. Beim "Rückkehrinterview" mit der Personalerin hat er dann, zwar nicht wahrheitsgemäß aber notgedrungen, mit "nein" auf die Frage geantwortet, ob er unter Betäubungsmitteleinfluss steht - es sind ja „nur Schmerzmittel". Mit einer anderen Antwort wäre er arbeitsunfähig gewesen und hätte unbezahlt freigestellt werden müssen. Da er einen Büro-Job hat und nicht an einer Maschine arbeitet hat keiner von uns ein Problem damit. In gewisser Weise muss man ihm sogar echt Respekt zollen: seine Arbeitsleistung hat an keinem Tag merklich nachgelassen. Natürlich ist uns aufgeklärten Deutschen klar, dass eine solche Energieleistung langfristig nicht ohne Folgen für den Betroffenen bleibt – weshalb wir zurecht stolz und dankbar sein können, dass unsere „Vorfahren“ für inzwischen selbstverständliche deutsche/europäische Errgungenschaften wie „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“ auf die Straße gegangen sind. (Anmerkung der Korrektur-lesenden Schnecke)
Auf der anderen Seite empfinde ich den Arbeitsalltag hier auch nicht so belastend wie in Deutschland so das sich alles wieder ausgleicht. Ganz allgemein beobachte ich auch, dass die Leute hier einfacher von der Arbeit abschalten was es dann auch einfacher macht mit Kollegen nach der Arbeit was zu unternehmen. Das ist etwas, dass ich hier echt zu schätzen lerne.
So, und jetzt schalte ich mich auch noch ein wenig ab auf meinem Flug nach upstate New York. Es erwartet mich mal wieder Neues, ein unbekanntes Unternehmen hat zwei 20 Jahre alte Maschinen von uns auf dem Gebrauchtmaschinenmarkt gekauft und will sie wieder produktionsfähig machen - allerdings wissen sie noch nicht mal wie und ob die Maschinen überhaupt noch funktionieren, da sie bisher noch nicht mal Strom drauf gegeben haben. In diesem Sinne: ab ins Abenteuer !